Wenn sich die Realität schneller verändert als das Gesetz, entsteht eine gefährliche Grauzone.
Und genau in dieser Grauzone bewegen sich heute viele Unternehmen – vor allem in streng regulierten Branchen wie Finance, Legal und Real Estate. Hybride Arbeitsmodelle sind längst gelebte Praxis, oft sogar Erwartung auf Kandidatenseite. Doch das Rechtssystem tut sich schwer, Schritt zu halten. Die gesetzlichen Grundlagen wurden für ein anderes Arbeitsverständnis geschaffen – eines, in dem die Präsenz im Büro der Normalfall war.
Das Problem: Die gelebte Flexibilität kollidiert mit Normen, die physische Anwesenheit voraussetzen – bei Arbeitszeitkontrolle, Arbeitsschutz, Datenschutz oder Versicherung. In besonders sensiblen Bereichen wie dem Immobilien- oder Finanzsektor kann das schnell zum Risiko werden: für die Organisation, für Führungskräfte, aber auch für die Mitarbeitenden selbst.
Der Bedarf ist klar: Es braucht vertragliche Regelungen, die nicht nur der aktuellen Rechtslage genügen, sondern der gelebten Arbeitsrealität gerecht werden. Und genau das wird zur strategischen Aufgabe für HR, Legal und Unternehmensführung.
Die größten Lücken im heutigen Arbeitsrecht
Das deutsche Arbeitsrecht ist historisch auf eine Arbeitswelt zugeschnitten, in der Schreibtisch und Arbeitszeit vom Arbeitgeber bestimmt wurden. Wer nicht im Büro saß, galt als Ausnahme. Zwar gibt es seit der Pandemie punktuelle Fortschritte - etwa das geänderte Nachweisgesetz (§2 NachwG), das seit 2022 mehr Transparenz über Arbeitsbedingungen fordert (Seatti 2023). Doch hybride Arbeitsmodelle fallen weiterhin durch ein Raster aus veralteten Begrifflichkeiten und stillschweigenden Annahmen.
Ein zentrales Beispiel: Der Begriff der „Telearbeit“ im Sinne der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) ist streng definiert. Nur wer dauerhaft von einem fest eingerichteten Arbeitsplatz zu Hause aus arbeitet, fällt darunter. Mobile Arbeit, also das flexible Arbeiten von wechselnden Orten, ist rechtlich nicht geregelt. Und genau das ist der Regelfall geworden.
Diese Grauzonen führen zu Unsicherheiten. Gilt das Arbeitszeitgesetz auch im Hotelzimmer? Wer haftet bei einem Unfall im Coworking Space? Wie wird Datenschutz sichergestellt, wenn Mitarbeitende sensible Kund:innendaten von unterwegs bearbeiten? In der Praxis müssen Unternehmen eigene Standards schaffen, oft in Abstimmung mit Betriebsrat, Rechtsabteilung und Datenschutzbeauftragten.
Hinzu kommt: Viele Verträge sind nicht auf hybride Szenarien vorbereitet. Es fehlen Angaben zum Arbeitsort, zur Arbeitszeitgestaltung, zur IT-Ausstattung oder zur Rückkehrpflicht ins Büro. Dabei sind diese Punkte nicht nur juristisch relevant, sondern auch kulturell. Denn wo keine Regeln gelten, entsteht Unsicherheit – und mit ihr ein Risiko für Vertrauen, Motivation und Compliance.
Von Büro zu Remote: Was sich juristisch wirklich ändert
Mit dem Wechsel von festen Büroarbeitsplätzen zu hybriden oder vollständig mobilen Arbeitsformen verschieben sich zentrale Verantwortlichkeiten. Was vorher durch Sichtbarkeit und räumliche Nähe geregelt war, verlangt nun vertragliche Klarheit und digitale Steuerung.
Ein zentrales Beispiel ist die Dokumentation der Arbeitszeit. Unternehmen unterliegen einer rechtlichen Pflicht zur Erfassung der geleisteten Arbeitsstunden – unabhängig davon, ob die Arbeit im Büro oder zu Hause stattfindet (BMAS 2024). In der Praxis bedeutet das: Auch bei Vertrauensarbeitszeit müssen Tools zur Zeiterfassung eingeführt werden, die nicht nur technisch, sondern auch datenschutzrechtlich sauber funktionieren.
Gleichzeitig greift das Thema Arbeitsschutz deutlich weiter als vielen bewusst ist. Wer hybrid arbeitet, unterliegt auch im Homeoffice der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Das schließt Gefährdungsbeurteilungen, ergonomische Empfehlungen und technische Ausstattung ein (CMS 2024). Besonders kritisch: In vielen Fällen ist gar nicht bekannt, unter welchen Bedingungen Mitarbeitende tatsächlich arbeiten. Hier fehlt es nicht nur an Kontrolle, sondern oft an Bewusstsein.
Auch die gesetzliche Unfallversicherung spielt eine wichtige Rolle. Der Versicherungsschutz ist im Homeoffice grundsätzlich gegeben – aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Der direkte Weg zum Drucker oder ein Sturz auf der Kellertreppe können versichert sein, müssen es aber nicht. Entscheidend ist der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit (Barmer 2025). Unternehmen sind gut beraten, dies nicht dem Zufall zu überlassen.
Nicht zuletzt rückt der Datenschutz in den Fokus. Der Zugriff auf sensible Daten aus dem Homeoffice oder von unterwegs verlangt technische Absicherung: verschlüsselte Verbindungen, VPNs, Zugriffsbeschränkungen. Aber auch organisatorische Maßnahmen wie verpflichtende Schulungen oder klare Regelungen zur Nutzung privater Endgeräte sind unerlässlich – insbesondere in Branchen, in denen regulatorische Anforderungen keine Ausnahmen dulden (Numeris 2025).
Hybrides Arbeiten verändert also nicht nur den Ort der Arbeit, sondern verschiebt die rechtliche Verantwortung auf eine neue Ebene. Wer dem nicht mit klaren Regeln begegnet, riskiert mehr als nur ineffiziente Prozesse: Es geht um Haftung, Compliance – und letztlich um Vertrauen.
Was hybride Arbeitsverträge heute leisten müssen
In vielen Unternehmen basiert der Wechsel ins Homeoffice noch immer auf einer E-Mail, einer mündlichen Zusage oder der stillschweigenden Duldung. Das reicht längst nicht mehr. Wer hybride Arbeit rechtssicher organisieren will, muss dies auch vertraglich abbilden. Und zwar nicht abstrakt, sondern konkret.
Ein moderner Arbeitsvertrag sollte den Arbeitsort definieren – oder im Fall hybrider Modelle präzise regeln, wie oft und unter welchen Bedingungen mobil gearbeitet werden darf. Dabei geht es nicht nur um das „Ob“, sondern vor allem um das „Wie“: Gibt es Präsenztage? Muss der Wohnort erreichbar zum Büro sein? Welche technischen Anforderungen gelten für den mobilen Arbeitsplatz?
Auch die Arbeitszeit muss klar geregelt sein. Das betrifft nicht nur die wöchentliche Stundenzahl, sondern auch Fragen der Erreichbarkeit, der Pausenzeiten und der Zeiterfassung. Denn selbst bei Vertrauensarbeitszeit bleiben Arbeitgeber:innen verpflichtet, gesetzliche Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten zu kontrollieren (§3 ArbZG).
Ein weiterer Punkt ist die Ausstattung: Wer trägt die Kosten für Laptop, Monitor oder Bürostuhl? Werden Strom- oder Internetkosten erstattet? Und wie wird sichergestellt, dass die technische Umgebung den Anforderungen an Datenschutz und Arbeitssicherheit entspricht?
Nicht zuletzt ist der Versicherungsschutz ein wichtiger Punkt: Der Unfallversicherungsschutz im Homeoffice ist in Deutschland seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2021 (§ 8 SGB VII) grundsätzlich dem Schutz im Betrieb angeglichen worden. Dennoch bleiben Fragen zu Regelungen im Ausland und zur Minimierung von Haftungsrisiken durch klare vertragliche Formulierungen entscheidend.
Viele der heute genutzten Vertragsvorlagen bleiben diese Antworten schuldig. Dabei geht es nicht um Misstrauen, sondern um Schutz: für Unternehmen wie für Mitarbeitende.
Sonderfall regulierte Branchen: Zwischen Flexibilität und Pflicht zur Kontrolle
Besonders deutlich wird die rechtliche Komplexität hybrider Arbeit in regulierten Branchen. In Bereichen wie Finanzdienstleistungen, Rechtsberatung oder der Immobilienwirtschaft gelten erhöhte Anforderungen an Datenschutz, Dokumentation und Rechenschaftspflicht. Hybrides Arbeiten ist hier nicht nur eine Frage der Organisation, sondern der Zulässigkeit.
Finanzunternehmen unterliegen etwa der Aufsicht von BaFin und EZB. Remote Work kann hier zusätzliche Prüf- und Genehmigungsprozesse auslösen – insbesondere wenn Mitarbeitende Zugriff auf sensible Kund:innendaten haben oder Transaktionen aus dem Homeoffice tätigen.
Auch im juristischen Bereich stellt sich die Frage nach der Wahrung der Verschwiegenheitspflicht. Wer als Anwält:in, Notar:in oder Unternehmensjurist:in mobil arbeitet, muss gewährleisten, dass keine unbefugten Dritten Zugriff auf vertrauliche Informationen erhalten (Numeris 2025).
In der Immobilienbranche wiederum ist der Umgang mit personenbezogenen Daten essenzieller Bestandteil des Tagesgeschäfts. Mietverträge, Finanzierungsdokumente, Grundbuchauszüge – all das enthält schützenswerte Informationen. Wer damit hybrid arbeitet, muss besonders sorgfältig mit Speicherorten, Übertragungswegen und Aufbewahrungsfristen umgehen.
Handlungsspielräume nutzen: Drei Modelle, die heute schon funktionieren
Modell 1: Vertragsanhang zur mobilen Arbeit
Ein juristisch geprüfter Anhang zum Arbeitsvertrag regelt u. a. Anzahl der Homeoffice-Tage, technische Ausstattung, Zeiterfassung und Rückrufrechte.
Modell 2: Kollektive Betriebsvereinbarung
Ideal für größere Belegschaften – standardisiert Prozesse, erhöht Akzeptanz, schafft verbindliche Regeln zu Datenschutz und Compliance.
Modell 3: Spezialvertrag für sensible Funktionen
Empfohlen für Positionen mit hoher Verantwortung: mit individuellen Klauseln zu Zugriffsschutz, Berichtswegen und Rückkehrpflicht.
Entscheidend in allen drei Fällen: Es reicht nicht, die Regelungen zu formulieren. Sie müssen gelebt, technisch gestützt und regelmäßig überprüft werden.
Fazit: Wer moderne Arbeit will, braucht moderne Vertragskultur
Hybrides Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Doch rechtlich abgesichert ist es nur, wenn Unternehmen bereit sind, die Realität ihrer Mitarbeitenden in klare Vertragswerke zu übersetzen. Die gute Nachricht: Es gibt viele Stellschrauben. Entscheidend ist der Wille, hybride Arbeit nicht nur zu dulden, sondern strukturiert zu gestalten. Vor allem dort, wo Verantwortung keine Option, sondern Verpflichtung ist.
Hybrides Arbeiten verändert, wie Teams geführt, Standorte genutzt und Verträge gedacht werden. Wer heute Talente gewinnen will, braucht Menschen, die diese Veränderung verstehen. Numeris Consulting bringt Recruiting-Expertise, Branchenverständnis und strategische Besetzungsstärke zusammen. Für Unternehmen, die hybride Realität auch personell absichern wollen. Kontaktieren Sie uns - wir freuen uns auf Ihre Anfrage.
Quellenverzeichnis
- Barmer (2025): Arbeitsvertrag und Homeoffice.
- BMAS (2024): Arbeitszeitgesetz (ArbZG). bmas.de
- CMS Deutschland (2024): BMAS-Empfehlungen für hybride Bildschirmarbeit.
- Seatti (2023): Hybrides Arbeiten im Arbeitsrecht.
- Haufe (2024): Was bei Homeoffice-Regelungen zu beachten ist.
- Numeris Consulting (2025): Herausforderungen und Chancen hybrider Arbeitsmodelle in der Rechts- und Finanzwelt.