Können HR-Teams aus dem Finanzbereich mit den Freigeistern der Web3-Welt überhaupt noch mithalten?
Branchen wie Finance, Legal und Real Estate gelten als strukturiert, sicherheitsorientiert und stark reguliert. Doch wer in diesen Feldern heute Tech-Talente rekrutieren möchte, trifft zunehmend auf Kandidat:innen, die ganz andere Spielregeln gewohnt sind.
Statt traditioneller Lebensläufe und klarer Vergütungsmodelle geht es auf einmal um Token-Anteile, flexible Arbeitsverhältnisse und dezentrale Projektstrukturen. Gespräche drehen sich nicht nur um Erfahrung und Fachwissen – sondern auch um Remote-First-Kulturen, die Arbeit über Zeitzonen hinweg und ein hohes Maß an Eigenverantwortung.
Für viele HR-Teams ist das Neuland. Sie sind darauf spezialisiert, exzellente Fachkräfte für komplexe regulatorische Umfelder zu finden. Doch im Web3-Umfeld gelten andere Erwartungen – bei der Zusammenarbeit ebenso wie bei der Candidate Experience.
Genau hier beginnt ein Spannungsfeld. Zwischen Compliance und Innovation. Zwischen kultureller Passung und rechtlicher Absicherung. Zwischen klassischer Professionalität und experimentierfreudiger Arbeitskultur.
Dieser Artikel beleuchtet sechs konkrete Herausforderungen, die HR-Teams heute meistern müssen, wenn sie in der Welt von Krypto, Blockchain und Web3 erfolgreich rekrutieren wollen.
Gehalt in Bitcoin – oder doch lieber FIAT?
Web3-Talente bringen nicht nur andere Vorstellungen von Arbeitsmodellen mit, sondern auch von Vergütung. Immer häufiger wünschen sich Kandidat:innen, dass Teile ihres Gehalts in Kryptowährungen wie Ethereum, Solana oder USDC gezahlt werden – insbesondere in Startups oder DAOs, die ohnehin selbst Token-basierte Geschäftsmodelle verfolgen.
Was auf den ersten Blick wie ein Zeichen von Flexibilität und Modernität wirkt, birgt in der Praxis erhebliche Herausforderungen. Denn in Deutschland gelten klare gesetzliche Regeln für Gehaltszahlungen: Das Arbeitsentgelt muss den Anforderungen des Mindestlohngesetzes (MiLoG) genügen, in Euro ausgezahlt werden und unterliegt Lohnsteuer sowie Sozialabgaben.
Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat unter bestimmten Voraussetzungen Gehaltsanteile in Krypto zwar zugelassen. Doch dabei gelten strenge Bedingungen: Die Hauptvergütung muss weiterhin in Euro erfolgen, und es muss sichergestellt sein, dass durch die Krypto-Komponente keine Schutzvorschriften unterlaufen werden – etwa beim Pfändungsschutz oder beim Urlaubsentgelt (Kliemt 2025).
Dazu kommen praktische Probleme: Wie werden Token versteuert? Wie dokumentiert man sie in der Gehaltsabrechnung? Wer haftet bei Wertverlusten? Und was passiert, wenn die gewählte Kryptowährung durch einen Regulierungsakt plötzlich als Wertpapier eingestuft wird?
Für Unternehmen aus dem regulierten Umfeld – etwa Banken oder Kanzleien – bedeutet das: Finger weg von spontanen „Krypto-Zugeständnissen“. Stattdessen braucht es klare Richtlinien, eine Abstimmung mit Steuer- und Rechtsberatung sowie eine HR-Strategie, die Offenheit für moderne Vergütungsmodelle zeigt, ohne die Compliance zu gefährden.
MiCAR, AML & DAO: Wer ist überhaupt Arbeitgeber:in?
In der klassischen Arbeitswelt ist die Sache klar: Es gibt ein Unternehmen, eine:n Arbeitgeber:in, einen Standort – und idealerweise einen sauber formulierten Arbeitsvertrag. Im Web3-Umfeld verschwimmt diese Klarheit.
Denn viele Blockchain-Projekte werden von sogenannten DAOs (Decentralised Autonomous Organizations) betrieben – dezentralen, gemeinschaftlich verwalteten Netzwerken ohne juristische Person im herkömmlichen Sinne. Wer also jemanden „einstellt“, ist nicht immer eindeutig. Ist es der Core Contributor mit Admin-Rechten im Discord? Oder eine neu gegründete Stiftung auf den Cayman Islands? Sie sehen, wo das hin läuft.
Diese Unschärfe ist nicht nur verwirrend – sie ist ein handfestes Risiko. Die EU versucht, mit neuen Regulierungsrahmen wie der Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCAR) oder den Anti-Money-Laundering-Richtlinien (AMLD5) mehr Rechtssicherheit zu schaffen (European Parliament and Council 2023; European Commission 2018). Doch der HR-Alltag ist diesen Reformen oft voraus: Talente werden bereits heute in Projekte eingebunden, deren Strukturen nicht zu den traditionellen Kategorien von Anstellung oder Freiberuflichkeit passen.
Hinzu kommt: Die AMLD5 verlangt für Krypto-Unternehmen eine registrierte, nachvollziehbare rechtliche Einheit – vor allem, wenn diese mit Zahlungen oder Finanzdienstleistungen zu tun haben. Wer diese Anforderungen ignoriert, riskiert Bußgelder, die Zusammenarbeit mit regulierten Partnern – und im schlimmsten Fall: strafrechtliche Konsequenzen.
Für Unternehmen, die im Web3 rekrutieren, ist deshalb entscheidend: Transparenz in der Vertragsgestaltung. Das bedeutet: Klare Verantwortlichkeiten, juristisch belastbare Vertragspartner:innen – und eine interne Abstimmung zwischen HR, Legal und Compliance, bevor überhaupt ein Angebot verschickt wird.
Nine-to-Five, nein danke: Kulturcrash vorprogrammiert
Ein:e Top-Kandidat:in mit exzellentem Blockchain-Know-how, internationaler Projekterfahrung und idealem Skill-Match – klingt nach einem Glücksgriff. Doch im Interview zeigt sich: tägliche Kernarbeitszeiten, Präsenz im Büro und formelle Feedbackrunden passen so gar nicht zu den Erwartungen.
Web3-Talente ticken anders. Viele kommen aus offenen, dezentralen Arbeitsumfeldern, in denen es keine klassische Führungsstruktur gibt – und kaum formale Prozesse. Stattdessen herrscht eine „Build first, ask later“-Mentalität. Entscheidungen entstehen kollaborativ, Kommunikation läuft über Discord oder Telegram, Teamstrukturen sind oft temporär und rollenbasiert (Cointelegraph 2022).
Das steht im direkten Kontrast zu den Strukturen vieler Unternehmen aus dem Finanz- und Rechtsbereich, wo Verlässlichkeit, Dokumentation und Compliance an erster Stelle stehen. Wer hier Talente integrieren will, ohne die eigene Arbeitskultur komplett auf den Kopf zu stellen, braucht klare Leitplanken – aber auch Offenheit.
Remote-First, asynchrone Kommunikation und Ergebnisorientierung statt Präsenzkultur: All das sind Ansätze, mit denen sich klassische Unternehmen nicht anbiedern, aber anschlussfähig zeigen können. Wichtig ist, Erwartungen frühzeitig zu klären – und bewusst mit der Spannung zwischen Flexibilität und Struktur umzugehen. Wie hybride Führung im Web3-Umfeld konkret aussehen kann – und warum klassische Steuerung dort an ihre Grenzen stößt – haben unsere Kolleg:innen hier ausführlich analysiert (alphacoders 2025).
Diversity-Illusion: Der Krypto-Bereich bleibt weiß und männlich
Web3 gilt als Innovationstreiber – offen, dezentral und chancengleich. Die Realität sieht anders aus. Laut LinkedIn lag der Frauenanteil bei Neueinstellungen im Kryptosektor zuletzt bei nur 26 % (LinkedIn 2022). Die Branche bleibt geprägt von Tech-affinen Männern – meist weiß, westlich, zwischen 25 und 35.
Für Unternehmen, die Vielfalt ernst nehmen, ist das ein Problem. Denn homogene Teams bringen nicht nur ethische Fragen mit sich – sie sind nachweislich schlechter in komplexer Problemlösung, weniger innovativ und weniger anschlussfähig an diverse Kundengruppen.
Zudem schreckt das einseitige Image potenzielle Kandidat:innen ab – insbesondere aus Bereichen wie Finance oder Legal, in denen Diversität oft längst als Business-Standard gilt. Wer hier als attraktives Unternehmen auftreten will, muss bewusst gegensteuern.
Das beginnt beim Wording in Stellenanzeigen, geht über die Auswahl der Recruiting-Kanäle bis hin zu internen Rollenbildern. Krypto- und Web3-Projekte, die ausschließlich auf technische Exzellenz setzen, ohne soziale Diversität zu fördern, laufen Gefahr, am Markt langfristig an Relevanz zu verlieren (Cointelegraph 2022).
Talent only on Discord: Wieso LinkedIn nicht mehr reicht
Wer im Kryptosektor nach passenden Kandidat:innen sucht, merkt schnell: Die klassische Suche über LinkedIn oder Xing bringt wenig. Viele der relevantesten Talente sind dort gar nicht aktiv – oder nur mit rudimentären Profilen. Stattdessen bewegen sie sich in Community-Umfeldern: auf Discord, Telegram, GitHub oder in spezialisierten DAOs (Cointelegraph 2022).
Das stellt HR-Abteilungen aus regulierten Branchen vor eine doppelte Herausforderung: Zum einen fehlt oft das technische Know-how, um sich in diesen dezentralen Netzwerken effektiv zu bewegen. Zum anderen fehlt die Routine, in Foren oder Open-Source-Communities geeignete Kandidat:innen zu identifizieren – geschweige denn rechtssicher anzusprechen.
Hinzu kommt: Web3-Talente suchen nicht nur einen Job. Sie suchen sinnstiftende Projekte, Autonomie, Ownership. Wer mit klassischen Stellenausschreibungen, Bewerbungsformularen und starren Prozessen um die Ecke kommt, wird schlicht ignoriert.
Die Folge: Top-Talente bleiben unsichtbar – oder gehen an flexiblere Wettbewerber. Wer das vermeiden will, muss seine Sourcing-Strategien anpassen. Community-Recruiting, dezentrale Talentpools und neue Formen der Ansprache gehören längst zum Pflichtprogramm.
Rebranding statt Recruiting: Krypto braucht Vertrauen
Krypto ist für viele noch ein Reizwort. Der Sektor hat mit Imageschäden zu kämpfen: Börsenpleiten, “rug pulls” (exit scams), steuerliche Grauzonen – all das färbt ab, auch auf seriöse Projekte. Für Kandidat:innen aus regulierten Branchen wie Banking, Steuerberatung oder Legal Tech ist das abschreckend. Selbst wenn die Position spannend ist.
Gleichzeitig herrscht ein Vertrauensproblem auf der Arbeitgeberseite. Wer im Web3 rekrutiert, weiss: Pseudonyme, nicht verifizierte Lebensläufe und wechselhafte Projektverläufe sind keine Ausnahme – sondern Standard. Was also tun?
Die Antwort liegt in der Markenführung. Unternehmen im Krypto- oder Blockchain-Umfeld müssen nicht nur gute Jobs anbieten, sondern sich bewusst als glaubwürdige, rechtskonforme Arbeitgeber:innen positionieren. Transparente Prozesse, nachvollziehbare Teamstrukturen und ein konsistentes Außenbild sind entscheidend (Cointelegraph 2022).
Wer im Krypto-Recruiting bestehen will, braucht Mut zur Lücke – und Klarheit im System
Recruiting im Web3 ist kein Zukunftsthema. Es ist längst Realität – mit eigenen Regeln, Erwartungen und Risiken. Für HR-Abteilungen in regulierten Branchen bedeutet das: Altbewährtes reicht nicht mehr aus. Gefragt sind rechtssichere Strukturen, neue Wege der Ansprache – und die Bereitschaft, kulturelle Spannungsfelder aktiv zu gestalten.
Wer das schafft, positioniert sich nicht nur als attraktiver Arbeitgeber. Sondern auch als glaubwürdiger Player in einem Markt, der nach Orientierung sucht.
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Quellen
- Kliemt (2025): Crypto kills the Cash-Star? Das BAG zur Krypto-Vergütung
- European Commission (2018): Directive (EU) 2018/843 (AMLD5)
- European Parliament and Council (2023): Regulation (EU) 2023/1114 on Markets in Crypto-assets (MiCAR)
- alphacoders (2025): Remote war gestern – was hybride Führung heute verlangt
- LinkedIn News (2022): Inside crypto’s hiring spree: A ‘Wild West’ search for talent
- Cointelegraph (2022): Hiring top crypto talent can be difficult